Content

Ein „Staatsverbrecher, der den Frieden gefährdet“ am BBZ

Der „Republikflüchtling“ Hartwig Kluge lässt Vergangenheit lebendig werden
20190514 143318 2
Am vergangenen Sonntag konnten Volljährige in Freiburg gleich zweimal wählen gehen: bei der Europawahl und der Kommunalwahl. Bei der Wahl zum Freiburger Gemeinderat hatte man gar die Qual der Wahl zwischen Kandidatinnen und Kandidaten von 18 Parteien. Qual? Dieses Wort würde Hartwig Kluge in diesem Zusammenhang sicherlich nicht gebrauchen. Er selbst hatte mit 21 Jahren keine Wahl.


Der Zeitzeuge der DDR-Geschichte bereicherte am vergangenen Dienstag den Geschichtsunterricht der G13a! Die Schüler waren begeistert von der lebendigen Geschichte, die Herr Kluge mit viel Engagement erzählte und die das zum Teil bereits Erlernte mit Leben füllte.
Hartwig Kluge, geboren 1947 in Halle an der Saale, wuchs in der DDR auf, die ihm zunehmend das Gefühl gab, ihn einzuschränken. Reisen, die Welt erkunden, Neues entdecken – gängige Wünsche und Vorstellungen für die Zeit nach dem Abitur – für Hartwig Kluge undenkbar. Wohin denn reisen, außer ins befreundete sozialistische Ausland wie in die Tschechoslowakei oder nach Ungarn? Zum Studium wurde er nicht zugelassen, da er u.a. – wie die Stasi, der Staatssicherheitsdienst, festhielt – am „Wahl“tag lieber mit dem Fahrrad durch die Gegend fuhr als sinnlos ein Kreuz unter eine festgesetzte Liste mit unbekannten Namen zu setzen.
So reifte in ihm der Wunsch, das Land zu verlassen. Über die ungarisch-jugoslawische Grenze. Dass die innerdeutsche Grenzüberschreitung beinahe einem Selbstmord gleichen konnte, wurde der Bevölkerung durchaus klargemacht. Heimlich und allein, um nicht Verwandte und Freunde in Gefahr zu bringen, plante er die Flucht. Doch dieser Versuch misslang im Januar 1969, weshalb Herr Kluge wegen „Republikflucht“ als „Staatsverbrecher, der den Frieden gefährdet“ zu einer Haftstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt wurde und so die perfide Welt der DDR-Haft kennenlernen musste. Schlafentzug, die Reduktion auf eine Nummer, brennendes Licht die ganze Nacht, entgegen der Schlafgewohnheit auf dem Rücken liegen müssend, Isolation, aber auch fehlende Intimsphäre, stundenlange Verhöre durch Stasi-Offiziere, der Versuch, ihn als inoffiziellen Mitarbeiter (IM) für die Stasi zu gewinnen, Ungewissheit und vieles mehr. Doch Herr Kluge zeigte nicht nur sehr bildhaft all die Demütigungen und Erniedrigungen dieser Zeit auf, er schilderte auch Mut machende Beispiele von Widerstand, Humor und Hoffnung. So kommunizierten die Häftlinge mit Hilfe eines „Knast-Morsezeichens“. Mit einem Zellennachbar spielte Herr Kluge auf diese Art und Weise sogar Schach. Ein Stück Toilettenpapier diente als Schachbrett, Brot- und Inventarkrümel als Schachfiguren .Der rauchende Zellengenosse lieferte die „Stifte“ zum Ziehen der Linien: abgebrannte Streichhölzer.
Im Dezember 1969 wurde Hartwig Kluge von der Bundesrepublik freigekauft – ein für die DDR gewinnbringendes Zusatzgeschäft. Seit 1970 lebt er in Freiburg.
Sehr bedauert hat er, dass er am 9. November 1989, dem Tag des „Mauerfalls“, am vom Brandenburger Tor maximal entferntesten Ort, in Lörrach, war und nicht mitten im Geschehen. Kluges Augen leuchten begeistert, als er Bilder von den die Freiheit feiernden Menschen zeigt – wie so oft während des äußerst interessanten Vortrags.
Wir sagen Herrn Kluge, der uns mit seiner erlebten Geschichte bereicherte und der so engagiert, lebendig, offen und auch witzig erzählen kann, herzlichsten Dank!